Der Art. 66 DSGVO beschreibt das sogenannte Dringlichkeitsverfahren für den Fall, dass dringender Handlungsbedarf besteht und ein Kohärenzverfahren oder die Zusammenarbeit zwischen der federführenden Datenschutzaufsichtsbehörde und den anderen betroffenen Aufsichtsbehörden zu langwierig wäre.
Gemäß Art. 66 Abs. 1 Satz 1 DSGVO kann eine betroffene Aufsichtsbehörde – abweichend vom Kohärenzverfahren oder dem Verfahren zur Zusammenarbeit zwischen der federführenden Aufsichtsbehörde und den anderen betroffenen Aufsichtsbehörden – ein Dringlichkeitsverfahren zum Schutz der Rechte und Freiheiten von betroffenen Personen einleiten, falls
- außergewöhnlichen Umstände vorliegen und
- dringender Handlungsbedarf besteht
Außergewöhnliche Umstände können zum Beispiel vorliegen, wenn eine federführende Aufsichtsbehörde ihren Verpflichtungen (z. B. zur Kooperation) nicht nachkommt und dringender Handlungsbedarf besteht.
Ein dringender Handlungsbedarf zum Schutz der Rechte und Freiheiten von betroffenen Personen kann insbesondere bestehen, wenn eine erhebliche Behinderung der Durchsetzung des Rechts einer betroffenen Person droht (Erwägungsgrund 137 Satz 1), die Verletzung der Betroffenenrechte unmittelbar bevorsteht und durch entsprechende Maßnahmen abgewendet werden kann. Dringender Handlungsbedarf besteht beispielsweise, wenn eine ersuchte Aufsichtsbehörde nicht – entgegen Art. 61 Abs. 8 DSGVO – binnen eines Monats nach Eingang des Ersuchens einer anderen Aufsichtsbehörde die Informationen erteilt.
Ein weiteres Beispiel enthält der Art. 62 Abs. 7 DSGO: Ist eine gemeinsame Maßnahme geplant und kommt eine Aufsichtsbehörde binnen eines Monats nicht der Verpflichtung nach Absatz 2 Satz 2 des vorliegenden Artikels nach, so können die anderen Aufsichtsbehörden eine einstweilige Maßnahme im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats gemäß Artikel 55 ergreifen. In diesem Fall wird von einem dringenden Handlungsbedarf gemäß Artikel 66 Absatz 1 ausgegangen, der eine im Dringlichkeitsverfahren angenommene Stellungnahme oder einen im Dringlichkeitsverfahren angenommenen verbindlichen Beschluss des Ausschusses gemäß Artikel 66 Absatz 2 erforderlich macht.
Eine Aufsichtsbehörde kann in diesen Fällen nach eigenem Ermessen hinreichend begründete einstweilige Maßnahmen in ihrem Hoheitsgebiet mit einer festgelegten Geltungsdauer von höchstens drei Monaten erlassen.
Der Wirkungskreis der Maßnahmen ist somit auf das eigene Hoheitsgebiet und auf die Geltungsdauer von 3 Monaten beschränkt. Außerdem muss die betreffende Aufsichtsbehörde unverzüglich die anderen betroffenen Aufsichtsbehörden, den Ausschuss und die Kommission von diesen Maßnahmen und den Gründen für deren Erlass in Kenntnis setzen (Abs. 1 Satz 2).
Einstweilig sind Maßnahmen, die später durch endgültige Maßnahmen ersetzt werden können.
Hat eine Aufsichtsbehörde eine einstweilige Maßnahme ergriffen und ist sie der Auffassung, dass dringend endgültige Maßnahmen notwendig sind, kann sie unter Angabe von Gründen um eine Stellungnahme (Art. 64 DSGVO) oder einen verbindlichen Beschluss (Art. 65 DSGVO) des Ausschusses ersuchen (Art. 66 Abs. 2 DSGVO).
Der betreffende Informationsaustausch wird in der Regel über das nach Art. 67 DSGVO ausgestaltete System zum elektronischen Informationsaustausch erfolgen.
Endgültige Maßnahmen sind solche, die über die Geltungsdauer der drei Monate hinauswirken und somit endgültige Wirkung haben.
Der Art. 66 Abs. 3 regelt die sogenannte Untätigkeitsbeschwerde. Wenn eine zuständige Aufsichtsbehörde trotz dringenden Handlungsbedarfs keine geeignete Maßnahme getroffen hat, um die Rechte und Freiheiten von betroffenen Personen zu schützen (Untätigkeit), kann jede Aufsichtsbehörde (auch nicht betroffene Aufsichtsbehörden) unter Angabe von Gründen, für den dringenden Handlungsbedarf, im Dringlichkeitsverfahren um eine Stellungnahme (Art. 64 DSGVO) oder gegebenenfalls einen verbindlichen Beschluss (Art. 65 DSGVO) des Ausschusses ersuchen.
Eine Untätigkeitsbeschwerde kommt aber nur in Betracht, wenn tatsächlich keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen getroffen wurden, geeignete Maßnahmen auch in Zukunft von der zuständigen Behörde nicht zu erwarten sind und ein zeitlicher Druck im Hinblick auf die Endgültigkeit der Maßnahmen besteht. Bei ergriffenen Maßnahmen, die grundsätzlich geeignet, jedoch unzureichend sind, greift Abs. 3 nicht.
Für die Abgabe von Stellungnahmen und verbindlichen Beschlüsse gelten gemäß Art. 66 Abs. 4 DSGVO nicht die in den Artikeln 64 Abs. 3 und 65 Abs. 2 aufgeführten, sondern verkürzte Fristen und Mehrheitsbestimmungen. Die Stellungnahmen und Beschlüsse müssen innerhalb von zwei Wochen mit einfacher Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses angenommen werden.