Eine aktuelle Studie offenbart einen historischen Tiefstand bei der betrieblichen Mitbestimmung in Deutschland. Während Gewerkschaften Alarm schlagen, suchen Arbeitgeber nach alternativen Wegen der Interessenvertretung.
Die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland befindet sich auf einem historischen Tiefstand. Laut einer exklusiven Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) existiert nur noch in sieben Prozent der deutschen Betriebe ein Betriebsrat. In der Privatwirtschaft wird nur noch jeder dritte Beschäftigte von einem Betriebsrat vertreten – ein drastischer Rückgang im Vergleich zu 1996, als noch knapp die Hälfte der Arbeitnehmer eine solche Vertretung hatte. Besonders in kleineren Unternehmen sind Betriebsräte selten anzutreffen.
Diese Entwicklung ruft bei Gewerkschaften und Politik große Besorgnis hervor. Die IG Metall-Vorsitzende Christiane Benner bezeichnet die Situation als alarmierend und fordert die Politik zum Handeln auf. „Die bisherigen Bemühungen haben offensichtlich nicht ausgereicht“, kritisiert sie und verlangt einen besseren Kündigungsschutz für Wahlinitiatoren sowie eine konsequentere Strafverfolgung bei Behinderung von Betriebsratswahlen.
Auch die Politik ist besorgt
Auch der CDU-Politiker Dennis Radtke sieht „die Arbeitgeber klar in der Verantwortung“ und warnt vor gezielten Verhinderungskampagnen. Er verweist auf Fälle wie Amazon, wo mit Kündigungsdrohungen und Einschüchterung versucht wurde, Betriebsratsgründungen zu verhindern. „Ohne Betriebsräte“, so Radtke, „leiden Arbeitsschutz und Sozialstandards.“ Als weiteren Grund für den Rückgang nennt er die gesunkene Tarifbindung, die seit 2000 von 70 auf 51 Prozent zurückgegangen ist.
Die Linkspartei kritisiert durch ihre sozialpolitische Sprecherin Susanne Ferschl das Fehlen wirksamer Konzepte zur Förderung von Betriebsratsneugründungen. Die Zunahme prekärer Beschäftigung erschwere es besonders Leiharbeitern, befristeten Angestellten und Minijobbern, sich in Betriebsräten zu engagieren.
Arbeitgeber wollen Alternativen
Die Arbeitgeberseite sieht die Entwicklung differenzierter. BDA-Geschäftsführer Steffen Kampeter bezeichnet das Betriebsverfassungsgesetz als „bürokratisch und veraltet“ und plädiert für zeitgemäßere Beteiligungsformen wie Mitarbeitervertretungen. „Es kommt auf einen guten Draht der Beschäftigten zum Arbeitgeber an“, betont er.
IW-Ökonom Oliver Stettes fügt einen weiteren Aspekt hinzu: Von den Arbeitnehmern, die sich einen Betriebsrat wünschen, sind zwei Drittel mit ihrer Arbeit zufrieden. Bei Beschäftigten ohne diesen Wunsch liegt die Zufriedenheit sogar bei 90 Prozent. Er empfiehlt, die Attraktivität der betrieblichen Mitbestimmung auch für Arbeitgeber zu steigern und die bürokratischen Hürden zu senken